Warum China beim Thema KI die Nase vorn hat und was das für uns bedeutet

24. April 2019

Aktuell gehen zumindest wir in der westlichen Hemisphäre davon aus, dass Kapitalismus und demokratische Staatsform in ihrem Zusammenspiel das beste und effizienteste Konzept sind, um 10 Milliarden Menschen auf diesem Planeten ohne größere Kriege zusammenleben zu lassen. Diese Überzeugung ist tief in uns verankert und wird gestützt durch den Untergang der Kommunistischen Regime und der Einstufung von China als zwar schnell wachsendes, aber immer noch Schwellenland.

Kai-Fu Lee hingegen erläutert uns in seinem Buch AI Superpowers, warum unser Erfolgsmodell in Zukunft nicht mehr funktionieren wird: Künstliche Intelligenz (KI) und die chinesische Art und Weise, damit umzugehen, werden seiner Ansicht nach schon bald zu einer weltweiten tektonischen Kräfte- und Macht-Verschiebung führen. In China gilt Kai-Fu Lee als Superstar, der nicht nur bei Apple und Microsoft gearbeitet, sondern auch den Aufbau von Google China verantwortet hat.

Idee oder Umsetzung – was zählt?

Sehr aufschlussreich sind seine Ausführungen, warum wir im Westen die Copycat-Diskussionen zu chinesischen Internet-Unternehmen falsch einschätzen. Während wir in der westlichen Kultur die Idee für das wichtigste Element halten, steht in der chinesischen Kultur die erfolgreiche Umsetzung im Fokus. Ja, es sind viele chinesische Unternehmen mit Ideen von westlichen Unternehmen an den Start gegangen. Aber Lee zeigt, dass die Lern- und Anpassungsfähigkeit vieler chinesischer Internet-Unternehmen erheblich konsequenter und erfolgreicher ist, als die Execution-Power der viel gepriesenen Silicon Valley Unternehmen, denen wir in Europa nacheifern.

Aus dieser Kultur sind Unternehmen entstanden wie Alibaba, Tencent oder Xiaomi. die im Westen inzwischen auch einige kennen. Doch wenigen Menschen hier ist bewusst, dass deren Geschwindigkeit und Innovationskraft die meisten westlichen Unternehmen klar in den Schatten stellt.

Kulturelle Unterschiede, vor allem im Umgang mit Daten

Möglich macht solche Erfolge aus Sicht von Lee nicht nur die chinesische Kultur des Ausprobierens und Anpassens, sondern vor allem der staatlich geförderte Umgang mit Daten. Künstliche Intelligenz funktioniert mit Milliarden von Datensätzen besser als mit Millionen Datensätzen. Die nicht vorhandenen Datenschutzgesetze und die Kultur, dass viele persönliche Daten quasi frei verfügbar sind, bieten einen idealen Nährboden für die KI- Nutzung in China.

Dies lässt sich inzwischen auch anhand der Zahlen für Patentanmeldungen klar nachvollziehen. China ist dabei, die USA als Vorreiter von KI-Systemen zu überholen. In der Analyse zeigt Lee, wie dies im Einzelnen geschieht und wann und warum mit einer chinesischen Überlegenheit zu rechnen ist.

KI als neue Allzwecktechnologie

KI ist die neue Allzwecktechnologie, so wie seinerzeit die Dampfmaschine oder Elektrizität. Und zum ersten Mal in der Geschichte führt nicht Europa die weitere Entwicklung an, sondern China.

Wir werden uns daher damit auseinandersetzen müssen, dass unsere Wertvorstellungen in Zukunft nur noch mit großen persönlichen Opfern und massiven Einschnitten in unseren Wohlstand verteidigt werden können. Denn bislang haben sich unsere demokratischen Wertvorstellungen, die Stellung des Individuums und die Persönlichkeitsrechte (wie z.B. der Datenschutz) prima mit dem Kapitalismus als Wirtschaftssystem ergänzt. Bisher war es also einfach, unsere Werte im Zusammenspiel von Wachstum und wirtschaftlichem Erfolg hoch zu halten.

Datenschutz vs. Wachstum – was ist uns unsere Privatsphäre wert?

Wenn nun die chinesischen Werte einen besseren und schnelleren wirtschaftlichen Erfolg durch Einsatz von KI bringen, werden wir dann unsere Werte verteidigen und Opfer bringen? Oder werden wir unsere – vor allem europäischen – Werte auf dem Altar des wirtschaftlichen Erfolgs opfern?

Vielleicht werden wir dazu aber auch gar keine Gelegenheit mehr haben. Denn wenn wir uns weiterhin in hässlichen Verteilungskämpfen selbst zerlegen, wie wir es mit dem Brexit begonnen haben, werden wir den Wandel gar nicht mehr schnell genug hinbekommen.

Zwar versucht Lee, sein Buch mit einem Konzept zu humanitärer Nutzung von KI zu beenden. Aber das sind wahrscheinlich nur Utopien, die nicht zum Tragen kommen, solange wir keine neuen Ideen entwickeln, um Wirtschaft und Effizienz im Zeitalter von KI an verschiedene kulturelle Wertekonzepte zu koppeln.

Ein Must-Read für alle, die ein Gespür davon bekommen wollen, wie KI im Umfeld von unterschiedlichen Kultur-Konzepten unsere Zukunft beeinflussen kann und wird.

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Kai-Fu Lee
AI Superpowers (International Edition): China, Silicon Valley, and the New World Order Mariner Books, 272 Seiten, 14,96 Euro
Kindle-Edition 12,99 Euro

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